Ökum. Neujahrsgottesdienst zum Weltfriedenstag am Freitag, dem 1. Januar 2021 in der Erlöserkirche Emst „Geh Deinen Weg“ Pr. Hans Bolig
Begrüßung und Auslegung Liebe ökumenische Gemeinde, einen ökumenischen Präsenzgottesdienst wollten wir am Neujahrstag feiern. Leider hat uns Covid 19 einen Strich durch die Rechnung gemacht. So wollen wir einander auf diesem Wege nahe sein und uns gegenseitig Mut machen mit Dietrich Bonhoeffers Lied „Von guten Mächten“ in Anlehnung an ein Buch von Udo Hahn. Als Dietrich Bonhoeffer diese Zeilen schrieb, stand er an der Schwelle des Jahres 1945, das ihm den Tod brachte. Als Gefangener der Gestapo sah er wie wir heute das Dunkel der Ungewissheit vor sich. Wie ging er damit um? Seine Verse verraten es uns. Folgen wir seinem Weg im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
1. Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Die guten Mächte sind die Klammer in diesem Lied. Treu und still umgeben sie Dietrich Bonhoeffer, so als wären sie selbstverständlich. Wo hatte er diese Mächte gefunden? In Büchern, in Paul-Gerhardt-Liedern und in der Bibel, vor allem aber in den Psalmen. So fühlte er sich geborgen, behütet und getröstet. Kein Jammern, kein Klagen, obwohl er den bösen Mächten seiner Zeit hilflos ausgeliefert war. Keine Spur von Aufgeregtheit, Unruhe oder Angst. Gelassenheit und Gleichmut strahlt diese Strophe aus. Dietrich Bonhoeffer wusste: Auch das kommende Jahr ist ein Jahr des Herrn. Was kommen mag, liegt in seiner Hand. Zuversicht strahlen diese Worte aus wie eine Geschichte aus China: „Ich sagte zu dem Engel an der Pforte des neuen Jahres. Gib mir ein Licht, damit ich sicheren Fußes der Ungewissheit entgehen kann. Aber er antwortete: Geh nur hin in die Dunkelheit und leg deine Hand in die Hand Gottes. Das ist besser als ein Licht und sicherer als ein bekannter Weg.“
2. Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Dietrich Bonhoeffer lebte nicht im Wolkenkuckucksheim. Er nennt Unheil und Leid beim Namen. Wir hingegen scheitern immer wieder an eigenen und fremden Ansprüchen, sind Getriebene unserer Angst, unserer Rast- und Friedlosigkeit. Mit dem kleinen Wörtchen „noch“ beginnt diese Strophe. Es ändert die Perspektive, richtet den Blick in die Zukunft. Mitten in den bösen Tagen wächst für den Glaubenden schon jetzt etwas Neues, nämlich die Hoffnung, das Schwere auszuhalten, trotz der bösen Mächte in der Welt. Dieses zweimalige „noch“ lenkt unseren Blick auf den, der unser Heil will. Dieses Heil können wir nicht selbst machen. Es ist ein Geschenk. Wir können es nur erbitten und daran glauben, dass es schon da ist: In der Krippe eines Stalles.
3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.
Pfarrer Rademacher hat einmal gefragt: Können wir das, den bis an den Rand gefüllten Kelch des Leids annehmen und trinken, und das auch noch dankbar, ohne Zittern? Welch eine Zumutung! Wenn wir auf 2020 zurückblicken, sehen die meisten von uns das Leid, das dieses Jahr gebracht hat. Mir geht es genauso, nicht nur wegen der Pandemie. Wenn ich ehrlich mit mir bin, habe ich vielleicht einen kleinen Schluck getrunken. Was aber ist mit den Opfern des mörderischen 2. Weltkrieges, den bestialischen Grausamkeiten, mit der Todesmaschinerie der KZs, von denen Bonhoeffer wusste? Was ist mit den zahllosen Opfern heute? Blicke ich auf unsere Welt, ist damals wie heute der höchste Rand längst erreicht, er läuft bereits über. Aber auch hier weist Gott den Weg: „Dein Wille geschehe, nicht meiner“, so hat Jesus in Gethsemane gebetet und uns gezeigt, das Leid auszuhalten und anzunehmen. Deswegen beten wir es heute noch in seinem Gebet, dem Vaterunser. Wir dürfen wie Jesus um Abwendung des Leids bitten, wir dürfen sogar mit Gott hadern. Aber Gott ist kein Gebetsautomat, er sucht unser Vertrauen. Es ist unendlich schwer, sich so auf Gott einzulassen, sich ihm ganz anzuvertrauen und unser Leben allein in seine Hände zu legen.
4. Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz.
Die Verse klingen nach. Freude? Schönheit? Hoffnung? Bonhoeffer sucht sie im Vergangenen. Udo Hahn schreibt dazu: Wer nur von der Zukunft träumt, dem wird die Vergangenheit sie nicht wiederbringen. Dem geht auch die Gegenwart verloren, wenn er nicht merkt, dass er jetzt lebt. Wer jetzt lebt, gewinnt der Welt auch ihre guten Seiten ab. „Noch einmal“ schreibt Bonhoeffer. Schon wieder dieses „Noch“. Das klingt hier nach einem bloßen Aufschub, verbunden mit dem Wissen, dass die Lebenszeit begrenzt ist. Aber auch danach, mitzunehmen, was geht. Egoisten tun das, Glaubende nicht. „Denkt der frühern Jahre“, dichtete Jochen Klepper, „wie auf eurem Pfad euch das Wunderbare immer noch genaht.“ Bonhoeffer erkennt im Vergangenen die Zeiten, in denen er sich im tiefsten Dunkel getragen fühlte. Auch an mir ziehen viele Bilder vorbei und erinnern mich an den, der mich hielt. In solchen Momenten bin ich bereit, ihm mein Leben ganz anzuvertrauen. So wird Vergangenheit zur Zukunft. Udo Hahn schreibt dazu: Gott vertrauen heißt: Nicht ich richte mich auf, sondern ich werde aufgerichtet. Nicht ich habe Mut, sondern ich werde ermutigt. Nicht ich führe, sondern ich werde geführt. Nicht ich halte, sondern ich werde gehalten. Gott vertrauen ist weniger mein Tun, sondern vielmehr ihn tun lassen.
5. Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wir kehren zurück in die Gefängniszelle Bonhoeffers. Im Licht der Kerzen keimt der Wunsch auf, seine Lieben noch einmal wiederzusehen, ein Wunsch, der ihm versagt blieb, denn „Nicht alle unsere Wünsche erfüllt Gott, aber alle seine Verheißungen“, so schrieb er einmal. Doch unsere Wünsche sind verständlich, wir dürfen sie im Gebet äußern, vor allem in der Ungeduld, die Dunkelheit des Leids möge endlich aufhören. Doch das Licht ist bereits da. Wir kommen von Weihnachten her, das uns diese Glaubensgewissheit schenkt, dass Gott unsere Nacht längst erhellt hat und dass wir einem neuen Tag entgegengehen, dessen Licht unsere Angst vertreibt.
6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Stille! Aber wo finden wir sie? Wer kann noch komplett abschalten? In unserer hektischen Zeit kommen wir immer weniger zur Ruhe. Daher brauchen wir einen Raum der Stille wie in dieser Kirche, um Gottes Stimme hören zu können. Denn dann können wir einen Einblick erhaschen in die unsichtbare Welt, die Gott genauso wie die sichtbare Welt erschaffen hat. Das ist keine Parallelwelt, sondern eine, die unsere Welt mit ihrem Gotteslob überwölbt: Gelobt sei Gott, immer und ewig, Friede allen Menschen! (Lukas 2,14) Und hier wird deutlich, dass die Verse Bonhoeffers uns auf Gottes Friedensweg weisen und den Geist des Friedens atmen. Einen Geist, der in Gott ruht, der in ihm Halt gefunden hat, der gelassen und in ihm geborgen ist. Natürlich liebte auch Dietrich Bonhoeffer das Leben und wollte nicht sterben, aber dieser Friede war es, der ihn am Schluss im Angesicht des Galgens sagen ließ: Das ist das Ende – für mich der Beginn eines neuen Lebens.
7. Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Und nun schließt sich der Kreis. Die guten Mächte sind vor allem die Mächte des Friedens, die schon in unserer friedlosen Welt immer wieder durchbrechen. Bonhoeffer verstand unter ihnen all das Gute, das er erleben durfte. So fühlte er sich geborgen. Dabei ist der Ausgang offen. Ob Bonhoeffer gehofft hat, wieder frei zu sein? Wir wissen es nicht. Was wir aber seinen Versen entnehmen können, dass alles in Gottes Hand liegt, auch der Tod. So geh deinen Weg wie einst Dietrich Bonhoeffer. Gott geht mit dir, wohin er auch führt. Geh deinen Weg mit Angst im Herzen und voller Sorgen um die Zukunft. Geh Deinen Weg mit dem Mut und der Kraft Gottes, die dich trotzdem weitergehen lassen. Geh deinen Weg mit den offenen Augen des Friedens und der Liebe, die dich den anderen sehen und dich ihm zuwenden lassen. Geh deinen Weg und suche nicht länger. Du bist nicht allein. Das Kind in der Krippe hat dich schon längst gefunden. Amen.
Lied Sieh nicht an, was du selber bist, Strophen 1+3 (Jochen Klepper) Melodie EG 33, Brich an du schönes Morgenlicht 1. Sieh nicht an, was du selber bist in deiner Schuld und Schwäche. Sieh den an, der gekommen ist, damit er für dich spreche. Sieh an, was dir heut widerfährt, heut, da dein Heiland eingekehrt, dich wieder heimzubringen auf adlerstarken Schwingen. 3. Glaubst du auch nicht, bleibt er doch treu. Er hält, was er verkündet. Er wird Geschöpf- und schafft dich neu, den er im Unheil findet. Weil er sich nicht verleugnen kann, sieh ihn, nicht deine Schuld mehr an. Er hat sich selbst gebunden, er sucht: du wirst gefunden!
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